Interview Steinmann

Interview mit Jan Juhani Steinman

"Am Saum der Worte", so heißt Ihr Gedichtband. Was hat es mit diesem Titel auf sich? Verstehen Sie sich selbst als ein Schneider der Sprache?

Obgleich der Lyrik, so wie jeder Kunstform, immer auch eine handwerkliche, vielleicht sogar mechanische Dimension eignet, verstehe ich meine “Kunst der Dichtung“ ausdrücklich auch als assoziativ, spontan und intuitiv. Sofern ich also ein Schneider der Sprache bin, dann womöglich nur mit der linken Hand, derweil meine Rechte sich in einen unverfügbaren Raum der Sprache streckt, in dem sie mehr Empfänger als Geber ist.

Was den Titel “Am Saum der Worte“ anbelangt, spielt dieser auf die Umschlagstelle zwischen Musik und Dichtung an. Genau diese habe ich mit lyrischen Mitteln aufzuspüren versucht, um mich dem zunächst Uneinholbaren musikalischer Erfahrungen im Wort anzunähern. Die Musik im Wort zu ver-dichten, mündet aber nicht in einer bloßen Beschreibung des Wahrgenommenen, sondern in einer Verschiebung der vernommenen Töne in eben jene Wortsprache, die am Saum der Worte aufklingt.

 

Erlaubt diese Verschiebung ein lyrisches (Ver-)Fassen der erfahrenen Musik?

Es bleibt Annäherung, ein vollständiges Erfassen der Musik ist jedenfalls unmöglich. Doch kann das lyrisch gesetzte Wort, wie ich glaube, in dieser Verschiebung vom Ton in das Wort neue Zugänge zum Gehörten eröffnen. Jede solche Verschiebung ist zwar eine Schlichtung der unmittelbar gegebenen, musikalischen Kraft, doch hält das Wort auch fest, was in der Musik unverständlich bleibt. Das Wort verschließt und öffnet zugleich also ein anderes Verstehen als die Musik dies erlaubt: Ein Verstehen vielleicht hinter den Stimmungen und damit auch an den Urgründen der Musik selbst. Der “Saum“, und deshalb die Wahl dieses Titels, wird uns so gleichsam zur Schwelle, wo der Ton im Wort und das Wort im Ton erklingen.


Was meint es denn, am Saum der Worte zu schreiben?

Es bedeutet nicht unbedingt an den Grenzen der Sprache zu schreiben, geschweige denn über sie hinaus zu gehen. Säume sind nicht Fransen, sondern Umwendungen, oder eben Schwellen. Am Saum der Worte zu schreiben, bedeutet so auch nicht, die Musik bloß zu versprachlichen. Dem Dichter bliebe ansonsten immer nur der Versuch einer jeweils spezifischen Isomorphie oder Paraphrase, die stets gezwungen symbolistisch oder expressionistisch, teils gar ausschließlich rhythmisch oder nur noch klingend wäre. Am Saum der Worte zu schreiben, bedeutet vielmehr genauer hinzuhören, um dort eine lyrische Umwendung zu wagen, wo der Ton zum Wort wird und die Worte wieder zurück nach innen zu den Tönen sich wenden.

 

Ist diese Beziehung von Dichtung und Musik, von welcher Ihr Band lebt, für Sie eine nur möglich, oder sogar eine notwendige? Oder anders gefragt: Weshalb braucht Musik die Dichtung?

Dichtung und Musik haben einen gemeinsamen Herkunftsraum, der letztlich aber ungreifbar bleibt. Wir können diesen als göttlichen Logos bezeichnen, oder auch verstummen, es kommt letztlich aufs Selbe: Wir bleiben Empfänger derjenigen Stoffe, mit welchen wir formal so arbeiten können, dass sie uns erlauben, uns wieder auf deren Herkunft zu besinnen, selbst wenn es beim Besinnen bleibt und kein Begreifen möglich ist.

Mich hat in diesem Verhältnis von Musik und Poesie überdies auch speziell die Frage beschäftigt, wohin denn alle von uns erfahrene Musik “verschwindet“, wenn diese einmal in unser Bewusstsein gelangt ist. Die Antwort, auf die ich im Verlauf der Arbeit am “Saum“ gestoßen bin, lautet: Nicht in diesen neuronalen Reiz, oder jenes intentionale Erleben, sondern zurück in das Potenzial, zu sich selbst zurückzukehren, d.h. in ebendiese Musik, von welcher sie selbst ausgegangen ist. Wie dies? Durch die Mittel der Poesie. Zum einen bedarf die Musik also niemals der Dichtung, denn sie erklingt und erfüllt sich in ihrer Wirkung. Zum anderen aber bleibt der Musik so ihrer Rückkehr zu sich selbst verwehrt. So gesehen, bedarf die Musik also der verstehenden Dichtung außerhalb ihrer selbst, damit das aus der Musik gewonnene Wort eben diese Musik wieder sich selbst zurückgeben kann. Gerade dies heißt mir folglich auch genauer hinzuhören: Zu verstehen, wie wir es vermögen, in Worten der Musik selbst förderlich zu sein. Sich dichterisch auf die tiefere Erfahrung der Musik einzulassen, ermöglicht es also erst, den Hiatus von Ton und Wort in der Umwendung zu überspringen. Diese Rückführung ist eine Bewegung der stetigen Wiederholung und damit auch verwandt mit dem Gebet. Nicht notwendig im Gehalt, aber im Vertrauen auf die Kraft, welche der Wiederaufnahme und dem Verweis über die Worte hinaus innewohnt.

 

Der Untertitel des “Saums“ lautet "Eine Wiener Musikpoesie". Welches Verhältnis verbindet Sie mit Wien?

Wien ist eine der großen musikalischen Städte des Abendlandes. Man denke sich die Fülle an gespielten Tönen und Melodien, die jeden Tag hier erklingen. Dieser musikalische Reichtum ist so auch eine der Facetten, die ich am stärksten liebe an der Stadt. Es war deshalb wohl auch kein Zufall, dass der “Saum“ in den Kirchen sowie Konzert- und Opernsälen seinen Anfang nahm. Alles begann mit zaghaften Aufzeichnungen direkt vor Ort und wuchs erst mit der Zeit zum Vorhaben eine Wiener Musikpoesie. Durch den “Saum“ konnte ich mich so noch einmal intensiver zu Wien und seiner Ästhetik verhalten.

 

Welche Rolle übernimmt für Sie die Poesie in unserer Zeit?

Im Sinne Heideggers lehrt sie uns eine keineswegs neue, aber zunehmend in Vergessenheit geratene Sorge und Behutsamkeit für die Sprache. Wie wichtig eine solche Besonnenheit in unseren Tagen geworden ist, gilt es nicht eigens auszuführen. In dieser Hinsicht ist die Poesie heute buchstäblich essentiell. Ferner kommt ihr, wie ich glaube, die Aufgabe zu, im geschaffenen Wort das Aufscheinen gesteigerter Wirklichkeit zuzulassen. Dies gilt für unsere Zeit ebenso wie für jede andere. Im Falle des “Saums“ kann diese eine Steigerung des musikalischen Feinsinns bedeutet, oder aber ein erhöhtes Bewusstsein für die lyrischen Potenziale hinter jedem gespielten Ton.

 

Sehen Sie sich selbst in einer bestimmten dichterischen Tradition? 

Ich kann die vielen Leseeinflüsse, die von der Antike über die Renaissance und Romantik bis in die Postmoderne reichen, nicht von mir trennen, orientiere mich aber nicht bewusst an einer dichterischen Tradition. Insgesamt hat aber die Moderne mit ihren verschiedensten Aufbrüchen und Neuerungen wohl die stärksten Spuren bei mir hinterlassen. Ich denke da etwa an den Symbolismus oder Expressionismus. Und natürlich sind da große Namen im Hintergrund, die mich immer wieder beschäftigen: Dante und Shakespeare etwa, Mallarmé, Hölderlin, Tagore, George, Celan und viele mehr. Am wichtigsten aber vielleicht Goethe, Nietzsche und Rilke. Keiner hat mich poetisch bisher so berührt und herausgefordert wie diese drei.


Wien, März 2021

Share by: